Nachdem die Ergebnisse der Unterrichtsbeobachtungen im letzten Teil des Moduls einen ersten Eindruck von der pädagogischen Beziehungsgestaltung beim Einsatz digitaler Medien vermittelt haben, können wir damit allerdings noch nicht erfassen, wie die beteiligten Personen diesen Einsatz erleben und bewerten. Aus diesem Grund haben wir weitere Teilstudien durchgeführt.

Im Rahmen unserer Online-Befragung (n=245 Schüler_innen) im Spätsommer 2022 haben wir zunächst die Lernenden gefragt, wie sie die letzte Unterrichtsstunde mit bzw. ohne digitalen Medieneinsatz wahrgenommen haben. Dabei zeigte sich ein eindeutiges Bild: Der Unterricht mit digitalen Geräten und Werkzeugen wird durchweg positiver bewertet als der Unterricht ohne digitale Medien. Die Lernenden gaben an, dass sie im Unterricht mit digitalen Medien deutlich selbstständiger arbeiteten, ihre Kreativität besser ausleben konnten und sich fröhlicher und motivierter fühlten als in der letzten Unterrichtsstunde ohne den Einsatz digitaler Medien.

Um dann mehr über die Rolle digitaler Medien bei der Gestaltung pädagogischer Beziehungen aus Sicht der Pädagog_innen herauszufinden, haben wir im Frühjahr 2023 vertiefende Interviews mit pädagogisch tätigen Personen geführt. Die Ergebnisse aus dieser Teilstudie werden im Folgenden ausführlicher vorgestellt.

Leitfadeninterviews: Die Rolle digitaler Medien bei der Gestaltung pädagogischer Beziehungen aus Sicht von Pädagog_innen

Um mehr über die Rolle digitaler Medien bei der Gestaltung pädagogischer Beziehungen aus Sicht von Pädagog_innen herauszufinden, haben wir im Frühsommer 2023 leitfadengestützte Interviews mit 12 pädagogisch tätigen Personen geführt (per Zoom; ⌀ 41 Minuten). Die Befragten bewegen sich in unterschiedlichen Berufsfeldern (u.a. Lehrkräfte, Erzieher_innen, Referendar_innen) und arbeiten in vier Bundesländern in unterschiedlichen Bildungseinrichtungen in öffentlicher oder privater Trägerschaft. Alle Interviewten weisen eine gewisse Affinität zu digitalen Medien auf, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Umfangs, in welchem sie diese im beruflichen Kontext einsetzen. Auch die Ausstattung mit digitalen Medien an den Einrichtungen, an denen sie tätig sind, ist unterschiedlich: Manche können auf Smartboards zurückgreifen, andere  verfügen über ein Lehrkräfte-Tablet, während wieder andere gar Tablet-Klassen unterrichten. Wichtig ist, dass es sich hierbei um qualitative Forschung handelt. Unsere Befunde zeigen mögliche Erfahrungen und Einstellungen auf, generalisierbar sind sie nicht.

Die Auswertung der Gespräche zeigte ein differenziertes Bild der Rolle, welche die Befragten den digitalen Medien bei der Gestaltung pädagogischer Beziehungen zuweisen.

So beschreiben die Pädagog_innen die Beziehungen zwischen ihnen und den Heranwachsenden als unabhängig von den in ihrer Arbeit eingesetzten digitalen Medien. Die Beziehung zu den Lernenden sei in der analogen Begegnung verankert, werde dort entwickelt und gefördert. 

“Die Beziehung, die ich zu den Schüler_innen habe, ist unabhängig von den Medien, die ich verwende. Das spielt keine Rolle. Die Beziehung, die wir haben, entsteht durch alle Interaktionen, die wir miteinander haben. […] Das beginnt mit der Begrüßung am Morgen. Die Kinder kommen rein und ich bin da und beginne den Beziehungsaufbau für den Tag.”
(P8, Lehrperson für Deutsch & Mathematik an einer Grundschule, 36 J.)

“Ansonsten finde ich, Schüler_innen-Lehrer_innen-Beziehung hat nicht viel mit digitaler Welt oder analoger Welt zu tun. Die hat man oder man hat sie nicht. Die will man oder man will sie nicht.”
(P9, Lehrperson für Geschichte, Latein & Religion an einem Gymnasium, 38 J.)

“Ich glaube, entweder hat man eine gute Beziehung oder man hat eben keine gute Beziehung. Und dann ist es egal, ob man digitale Medien einsetzt oder nicht. So war es auch im Homeschooling: Wer schon vorher eine tragbare Beziehung zu den Schüler_innen hatte, der hat diese natürlich weitergeführt.”
(P1, Lehrperson für Deutsch & Geografie an einer Sekundarschule, 34 J.)

Auch das eigene Verhalten den Heranwachsenden gegenüber bleibe vom Einsatz digitaler Medien im pädagogischen Kontext unberührt: So würden sie Lob und Motivation, aber auch Strenge gleichbleibend einsetzen.

“Ich glaube nicht, dass da ein Unterschied ist. Wenn die digital arbeiten, sage ich: ‘Cool, du hast das nächste Level geschafft’. Aber das sage ich auch, wenn die im Buch arbeiten. […] Ich versuche generell immer zu loben […] und mache da keine großen Unterschiede.”
(P2, Lehrperson für Mathematik & Deutsch an einer Grundschule, 61 J.)

Diese Befragten sehen digitale Medien also vermehrt als Bestandteil ihrer pädagogischen Haltung, die jeweils in der Bildungsarbeit zum Ausdruck kommt. Die Arbeit an der pädagogischen Beziehung findet sowohl analog als auch digital statt – wird aber durch die digitale Komponente eher nicht beeinflusst.

Gleichzeitig berichten die Interviewten sehr wohl von einem Einfluss auf ihre Interaktionen mit den Heranwachsenden durch digitale Medien: 

“Ich finde, dass die Kinder motivierter sind und dadurch auch lernfähiger. Weil sie sehen, dass man sich für sie Mühe gegeben hat. Mehr als wenn ich zum 100. Mal das gleiche Arbeitsblatt auspacke. Das nehmen sie durchaus wertschätzend wahr. Und auch das Voneinander-Lernen ist für mich ein Gamechanger – dass sie merken, wir sind hier auf Augenhöhe und profitieren voneinander. Nicht nur wir Lehrer_innen können ihnen was beibringen, sondern sie können auch uns mal was beibringen. Mit den digitalen Medien holen wir ihre Lebenswelt viel mehr in die Schule.”
(P12, Lehrperson für Deutsch & Geschichte an einer Integrierten Gesamtschule, 37 J.)

“Meine Priorität ist es, eine positive und fehlerfreundliche Atmosphäre zu gestalten, in der sich die Schüler_innen wohlfühlen. […] Authentische Themen zu finden, die nah an ihrer Lebenswelt sind. […] Und durch die digitalen Medien steigt ihre Motivation. Und die digitalen Medien fördern auch die Kreativität, die für sie wichtig ist.”
(P7, Person im Referendariat für Italienisch und Kunst an einem Gymnasium, 36 J.)

Außerdem beschreiben die Pädagog_innen z.B. die Eröffnung neuer Kommunikationsräume mit den Kindern und Jugendlichen durch die genutzten digitalen Endgeräte und Medien. So wurde berichtet, dass sich z.B. manche Lernenden dadurch eher ihren pädagogischen Bezugspersonen anvertrauen – was in der analogen Begegnung schwieriger war.

“Ich bin digital noch mehr erreichbar und habe da nochmal einen anderen Zugang. Es ist vielleicht eine niedrigere Hemmschwelle – auch auf der Beziehungsebene – mit mir digital zu schreiben und zu interagieren und mich zu fragen, ob ich bei einem Problem helfen kann. […] Trotzdem ist die Voraussetzung, dass wir uns in der analogen Welt kennen. Aber dann ist es einfacher, in der digitalen Welt Kontakt mit mir aufzunehmen, als das manchmal analog der Fall ist.”
(P5, Lehrperson für Geschichte, Sport & Ethik an einem Gymnasium, 32 J.)

Die Befragten stellen zudem die Vielzahl individueller Feedbackmöglichkeiten als besonderes Merkmal positiv heraus. Damit werde die pädagogische Beziehungsebene zu den Lernenden verdichtet und man könne unterschiedliche Lernbedürfnisse besser berücksichtigen.

“Der Vorteil bei den Lernapps ist, dass da immer gleich angesagt wird, ob etwas richtig ist oder nicht. Und wenn eine Sache noch nicht richtig funktioniert, dann werden die Kinder automatisch ein Level niedriger eingestuft. Das ist auch positiv, damit die wirklich einen Lernerfolg haben. […] Die kriegen immer gleich das Feedback und es wird gezeigt, wo der Fehler lag. Und das kann ich nicht immer gewährleisten im Unterricht.”
(P2, Lehrperson für Mathematik & Deutsch an einer Grundschule, 61 J.)

“Digitale Tools ermöglichen mir, den Arbeitsverlauf der Schüler_innen zu tracken und ihnen eine individuelle Rückmeldung zu geben. […] Das ist eine zusätzliche Möglichkeit für positives Feedback. Bei einem ausgedruckten Arbeitsblatt streiche ich rot an, was falsch ist. […] Und im Digitalen kann ich den Verlauf sehen, ich kann sehen, woran haben wir gearbeitet und was ist noch nicht verstanden?”
(P4, verantwortliche Person für Digitalisierung an einer Hochschule, 44 J.)

Digitale Medien werden hier also als Chance für die Beziehungsgestaltung gesehen – und können diese dadurch positiv beeinflussen.

“Die digitalen Medien können die Beziehung zwischen den Kindern und mir noch einmal stärken. Wenn die Kinder sehen, ich stelle ihnen mein Tablet zur Verfügung, ich vertraue, dass sie gut damit umgehen und ich lasse sie auch außerhalb der Regel zweimal auf dem Tablet spielen. Das sind ja alles Sachen, die die Beziehung verbessern. Und wir kommen durch die digitalen Medien in Kontakt miteinander, wie z.B. wenn wir im Internet nach Informationen suchen und uns darüber unterhalten.”
(P6, Erzieherin an einer Grundschule, 29 J.)

Es zeigt sich, dass Pädagog_innen die Rolle digitaler Medien bei der Gestaltung der Interaktionen mit Lernenden unterschiedlich wahrnehmen. Während einige Interviewte entweder von einem Einfluss digitaler Medien auf ihre Beziehungsgestaltung ausgehen oder einen solchen verneinen, berichteten andere sogar davon, dass – je nach Situation – beide Möglichkeiten auf sie zutreffen.

Vertiefungsaufgabe: Bitte setzen Sie sich mit Ihrer Art der pädagogischen Beziehungsgestaltung auseinander:

Denken Sie an eine konkrete Situationen aus Ihrer pädagogischen Arbeit, in der Sie digitale Medien und Werkzeuge eingesetzt haben.

  • In welcher Situation ist Ihnen die pädagogische Beziehungsgestaltung mit digitalen Medien gut gelungen? Und welche Rolle haben digitale Medien dabei gespielt? Wählen Sie ein Beispiel aus Ihrer Arbeit aus und reflektieren Sie die Situation, die genutzten digitalen Medien und die Interaktion mit den Lernenden.
  • Lesen Sie die Padlet-Einträge von anderen pädagogisch tätigen Personen zum Thema der pädagogischen Beziehungsgestaltung mit digitalen Medien. Identifizieren Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den beschriebenen Situationen und Herangehensweisen anderer Pädagog_innen. Überlegen Sie, ob Sie von den Erfahrungen anderer Pädagog_innen neue Ideen oder Perspektiven für Ihre eigene pädagogische Praxis ableiten können.

Hier geht es weiter zu einer Linksammlung und zur verwendeten Literatur: Linksammlung.