Das Braunschweiger Chancennetzwerk – ein Netzwerk voller Chancen für armuts- und bildungsbenachteiligte Grundschulkinder

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(von Brigitte Rössing)

In kaum einem anderen Land ist der Bildungserfolg so stark vom Elternhaus abhängig wie in Deutschland. Kinder, die in Familien mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status aufwachsen, weisen bezogen auf den Bildungserfolg und ihre gesellschaftliche Teilhabe am privaten, beruflichen sowie gesellschaftlichen Leben immer noch denkbar ungünstige Voraussetzungen auf.
Seit vielen Jahren hat sich daher in Braunschweig ein starkes Engagement für armuts- und bildungsbenachteiligte Kinder entwickelt. So wurde, um die Situation der Kinder in der Stadt zu verbessern im Jahr 2007 der Beirat gegen Kinderarmut gegründet, der sich aus Vertreter:innen verschiedener Organisationen und Institutionen zusammensetzt. Es wurden verschiedene Projekte initiiert und unterstützt und auch das Pilotprojekt „Chancennetzwerk“ mit dem Focus auf armuts- und bildungsbenachteiligte Grundschulkinder wurde 2021 vom Beirat gegen Kinderarmut ins Leben gerufen. Das Chancennetzwerk ist beim Kinderschutzbund Ortsverband Braunschweig eingerichtet worden und als Koordinierungs- und Unterstützungsstelle eine Ergänzung für nonformale und informelle Bildungsangebote laufender schulischer und außerschulischer Angebote.1


Bildungsgerechtigkeit ist nach Einschätzung des Bildungsforschers Aladin El-Mafaalani „das Entdecken und Aufdecken der Talente bei Kindern bis 11 Jahren.“2 Kinder aus benachteiligten Familien und Milieus haben oft nicht die Möglichkeit, ihre Interessen und Talente außerhalb der Schule zu entdecken. Daher müssten Kitas und Grundschulen zu Orten werden, „in denen Kinder alles erleben und lernen können, was diese Welt zu bieten hat“3 und was für Kinder aus privilegierten Familien selbstverständlich ist. Bei dem Vorhaben insbesondere Grundschulen in herausfordernden Lagen, die alle seit vielen Jahren inklusiv arbeiten, zu Orten umzubauen, in denen Kinder alles erleben und lernen können, was die Welt zu bieten hat, berät, unterstützt und koordiniert das Chancennetzwerk, beispielsweise durch den Aufbau von Pools für außerschulische Angebote von Vereinen, kulturellen Einrichtungen, Kulturpädagog:innen, Theatern, Sportvereinen und Soloselbständigen vielfältiger Sparten. Auch kann das Chancennetzwerk durch eine
festangestellte Kraft und zwei ehrenamtliche Beraterinnen die Schulen bei der Erarbeitung des pädagogischen Ganztagskonzepts beraten, Expert:innen qualifizieren, den Erfahrungsaustausch im Netzwerk der Schulen begleiten und finanziell bei Kleinprojekten unterstützen.4

Die pädagogischen Angebote und Arbeitsgemeinschaften in den Ganztagsgrundschulen werden von multiprofessionellen Teams umgesetzt. Diese bestehen aus Lehrkräften, pädagogischen Mitarbeiter:innen des Ganztags, außerschulischen Expert:innen wie Handwerker:innen, Sportler:innen, Informatiker:innen, Künstler:innen, Musiker:innen, Schauspieler:innen, Regisseur:innen, Köch:innen, Schneider:innen und vielen mehr. In diesem lebendigen und inspirierenden Erfahrungsraum, in dem vielfältige Angebote und
Aktivitäten stattfinden, können Kinder ihre Neigungen und Interessen entdecken, sie können vieles ausprobieren und lernen selbstbestimmt zu entscheiden. Schulen werden so zu Orten, in denen für jedes Kind unabhängig vom Elternhaus erlebbar und erfahrbar wird, was die Gesellschaft zu bieten hat. Zudem kann systematische Förderung von Begabungen und Talenten mit dem Focus auf die Ressourcen stattfinden: Was bringen die Kinder mit? Was können sie? Wie können wir sie fördern und sie stark und selbstbewusst machen? Durch das breite Spektrum der Angebote und Aktivitäten und die gezielte Begabungsförderung werden zudem das soziale Miteinander, Resilienz- und vielfältige Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht. Dabei ist es dem Kinderschutzbund wichtig, dass alle Mitarbeitenden der „ausgeprägte Wille eint Entwicklung und Lernen der ihnen Anvertrauten zu unterstützen5 und die Aktivitäten in einem Klima stattfinden, das von Akzeptanz, Ermutigung, Anerkennung und Respekt geprägt ist.“6
In Braunschweig bestehen gute Voraussetzungen um die Grundschulen zu inspirierenden Erfahrungsräumen aus den bestehenden Systemen heraus zu erweitern, denn die Stadt begann bereits im Jahr 2007 auf der Basis des Braunschweiger Modells Grundschulen zu Kooperativen Ganztagsgrundschulen auszubauen, in denen freie Träger mit den Schulen kooperieren und in denen bereits die Basis für die Arbeit in multiprofessionellen Teams gelegt ist. Daher müssen keine bahnbrechenden Veränderungen vorgenommen werden. Mit der Beratung und Unterstützung des Chancennetzwerks werden insbesondere Schulen in herausfordernden Lagen zu lebendigen Bildungsorten erweitert, in denen neben den Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeiter:innen der freien Träger Menschen der verschiedensten Professionen mit den Kindern arbeiten, so dass Netzwerke voller Chancen für armuts- und bildungsbenachteiligte Grundschulkinder entstehen können. So schlagen
Pädagog:innenherzen regelmäßig höher, wenn sie nachmittags durch die Schule gehen und erleben, wie die Kinder begeistert und voller Konzentration Gitarre, Klavier oder Schlagzeug spielen, in ein Schachspiel vertieft sind, im Boulderclub hoch hinaus klettern, im Fahrradclub ein Fahrrad reparieren oder im Coding-Club eine Stoppuhr für den Sportunterricht programmieren.
Sobald eine gute Grundlage gelegt worden ist, die Grundschulen Braunschweigs qualitativ zu Orten zu erweitern, wo insbesondere die Kinder aus benachteiligten Familien alles lernen können, wofür sie sich interessieren, wird das Chancennetzwerk zunächst die Kindertagesstätten und danach die weiterführenden Schulen in den Focus nehmen, so dass auch dort Netzwerke voller Chancen für armuts- und bildungsbenachteiligte Kinder und entstehen können.

Quellen:

1) Vergl. Präsentation des Chancennetzwerks im Kinderschutzbund Braunschweig e.V., Koordinierungsstelle für nonformale und informelle Bildungsangebote als Ergänzung laufender schulischer und außerschulischer Angebote

2) https://www.derstandard.at/story/2000119840364/zu-viel-vorausgesetzt-kinder-als-insolvenzverwalter-ihresalltags

3) Aladin El-Mafaalani, Mythos Bildung, 2020, S. 16

4) siehe Fußnote 1

5) https://ev-bildungszentrum.de/interview/prof-dr-annedore-prengel/

6) https://kinderrechteschulen.de/wp-content/uploads/2021/08/35-annedore-prengel-2blaetter.pdf

Zitiervorschlag: Rössing, Brigitte (2023): Braunschweiger Chancennetzwerk – ein Netzwerk voller Chanen für armuts- und bildungsbenachteiligte Grundschulkinder. https://paedagogische-beziehungen.eu/das-braunschweiger-chancennetzwerk-ein-netzwerk-voller-chancen-fuer-armuts-und-bildungsbenachteiligte-grundschulkinder/