Bewältigungsperspektiven gemeinsam mit den Schüler_innen erarbeiten

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(Christoph Eichhorn) Vielen Lehrpersonen ist es ein großes Anliegen, dass sich ihre Schülerinnen und Schüler in der Schule wohl fühlen. Wenn dies der Fall ist, lernen Schüler_innen besser, sie kooperieren mit ihren Lehrkräften und sie stören weniger. Es fördert ihre Persönlichkeitsentwicklung (Lopez, Snyder, 2009) und es stärkt ihre Resilienz (Pianta, Hamre, Mintz, 2012).

Der Beitrag von Christoph Eichhorn zeigt, welche Handlungsmöglichkeiten Lehrkräfte haben, um herausforderungsvolle Situationen mit ihrer Klasse zu besprechen und einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich Schüler_innen in der Schule wohlfühlen.

Alltagsbelastungen in der Schule und deren Konsequenzen

Der 15-jährige Paul ging seit einigen Tagen nicht mehr zur Schule und war, als ich an einem Schulpsychologischen Dienst in der Schweiz arbeitete, bei mir in der Beratung. Auf meine Frage, „warum er nicht mehr in die Schule ginge“ antwortete er „ich habe keinen Bock mehr auf Schule“. Schon seit einigen Jahren hatte er erhebliche Leistungsprobleme. Die haben ihn mit der Zeit so demoralisiert, dass er lieber die Schule verweigerte, statt weitere Kränkungen durch Misserfolge und Zurechtweisungen zu erleben. Auch die 8-jährige Kira fühlte sich schlecht. In der Pause hatte sie Streit mit einer Mitschülerin. Sie fühlte sich unterlegen und gekränkt.

Es gibt vieles, was Schüler_innen während des Schultags belasten kann, wie z.B.- sich nicht dazu gehörig fühlen, , mit dem Lernen nicht klarkommen, Stress mit den Eltern wegen der Schule oder schlechten Noten haben, den Unterricht langweiligfinden, Aufgaben oder Arbeitsblätter nicht lösen können, die Erklärungen der Lehrperson nicht verstehen, sich von der Lehrkraft oder Mitschüler_innen unfair behandelt fühlen usw., usw.

Klar, die meisten Schüler_innen gehen gerne in die Schule. Trotzdem erleben auch sie dort zahlreiche belastende Situationen. Und sind oft mit deren Bewältigung überfordert.

Die Schule – für manche ein Zwangskontext

„Dauernd schreiben mir die Lehrer vor, was ich tun soll, da hab ich keine Lust mehr“, so ein  Siebtklässler, der wegen erheblicher Verhaltensprobleme in meiner Beratung war. Ein für die Schule bedeutsames Merkmal von Schülerinnen und Schülern in der Pubertät ist ihr zunehmendes Autonomiestreben. Die Schulpflicht kann diesem Streben entgegenlaufen. Wenn in einer Klasse nur ein oder zwei Schüler sind, die sich fremdbestimmt fühlen, kann das erhebliche Auswirkungen auf die Klasse und den Unterricht haben.

Schulen basieren nicht auf Freiwilligkeit ihrer Schülerinnen und Schüler auchLehrpersonen unterliegen zahlreichen Vorgaben. Wann, wo, wie lange, was, wie, mit welchen Zielen unterrichtet wird, ist relativ klar umschrieben. Eine Lehrperson kann beispielsweise nicht ohne weiteres ihr Programm oder die Zusammensetzung ihrer Klasse ändern, weil einige ihrer Schülerinnen und Schüler nicht mehr mitkommen oder eine ungünstige Klassendynamik vorherrscht. Die Schule ist also eine Art Zwangskontext für einige Schülerinnen und Schülern – mit erheblichen Auswirkungen auf deren Motivation und die Kooperationsbereitschaft sowie großem systemimmanenten Konfliktpotential.

Konsequenzen negativer Emotionen

Negative Emotionen unserer Schüler_innen haben massive Auswirkungen auf unseren Unterricht. Die Schüler_innen kooperieren weniger und ihre Möglichkeiten der Selbststeuerung gehen stark zurück (Baumeister, 2018). Dann stören sie mehr. Wir müssen mehr eingreifen und ermahnen – was wiederum auf Kosten der Beziehung zu diesen Schüler_innen und des Klassenklimas geht. Das möchten wir nicht. Aber was sollen die betroffenen Schüler_innen tun?

Im Classroom-Management ist klar: Wenn wir mit unseren Schüler_innen nicht besprechen, wie sie starke negative Emotionen bewältigen können, dann können wir nicht erwarten, dass ihnen dies automatisch gelingt.

Präventiv Bewältigungsstrategien besprechen und einüben

Frau Schneider, Lehrerin einer fünften Klasse, will, dass ihre Schüler_innen frühzeitig über Handlungsoptionen für kritische Situationen verfügen. Ihr Ziel ist, dass ihre Schüler_innen Belastungssituationen aktiv angehen und so weniger negative Emotionen erleben.

Belastende Situationen sammeln und gewichten

Hierfür arbeiten die Schüler_innen in Kleingruppen an den Fragen, „was ist an der Schule schwierig?“ und „was stört euch“. Sie könnte auch fragen, „worüber ärgert ihr euch“, oder „was sollte anders sein?“ und ähnliches. Frau Schneider sammelt alle Ergebnisse auf einem großen Blatt. Dann gewichtet sie diese, so dass z.B. zwei Cluster übrigbleiben. Sie lauten: Wenn wir Streit haben oder wenn ich etwas nicht verstehe. „Sie sind unfair“ lautete eine der Antworten aus einer der Kleingruppen. Keine erfreuliche Botschaft. Aber eine wichtige. Die Lehrperson könnte sagen, „gut, dass du das sagst“. Und dann versuchen, mit dem Schüler ins Gespräch zu kommen. Mehr dazu erfahren Sie in Eichhorn (2018a).

Handlungsoptionen überlegen

Und wieder geht es zurück in die Kleingruppen. Dieses Mal überlegen die Schüler_innen, wie sie die Probleme angehen könnten. Also, „was kannst du tun, wenn du mit jemandem Streit hast“ oder wenn du etwas nicht verstehst.“ Alle Vorschläge werden gesammelt. Die Schüler_innen wählen die besten aus – Frau Schneider hilft ein bisschen mit, diese kurz, prägnant und positiv zu formulieren.

Vorsätze nach dem „wenn…, dann…“ Muster erarbeiten

Hierbei hat es sich als geeignet gezeigt Vorsätze nach dem „wenn… dann…“ Muster  zu formulieren, um Handlungsmuster für Problemsituationen anzugehen, (z.B. Gollwitzer and Oettingen 2015). Die Schüler_innen haben mit Frau Schneiders Hilfe folgende Vorsätze erarbeitet: „Wenn mich ein Schüler schlägt oder beleidigt, dann sage ich es der Lehrkraft“ oder „Wenn ich etwas nicht verstanden habe, dann zeige ich unsere rote Signalkarte.“

Im Laufe der Zeit spricht Frau Schneider immer wieder mit ihren Schüler_innen über die Vorsätze. So lernen sie, diese mit der Zeit umzusetzen.

Unterstützungstreffen

Nicht alle Schüler_innen können die Vorsätze umsetzen. Frau Schneider hat eine Kleingruppe mit diesen Schüler_innen  gebildet, mit der sie sich zusätzlich anfangs einmal pro Woche für 15 Minuten trifft, um sie intensiver begleiten zu können. Sie sprechen darüber, was bereits gut klappt und wie sich noch ein bisschen verbessern können. Zum Beispiel indem sie sich gegenseitig an ihre „wenn…, dann…“ Vorsätze höflich erinnern. Sie achtet darauf, dass diese Treffen für ihre Schüler_innen in guter Stimmung enden. Dazu machen sie am Schluss ein kleines Spiel. Mit der Schulleitung und mit den Eltern der Schüler_innen hat sie sich zuvor abgesprochen.

Eltern einbeziehen

Frau Schneider erklärt am Elternabend, was ihre Schüler_innen erarbeitet haben. Dabei lobt sie ihre Klasse großzügig. Das kommt bei den Eltern sehr gut an. Die Eltern sind stolz auf ihr Kind. Damit erreicht Frau Schneider fast nebenbei das eigentlich wichtigste Ziel für Elternabende, nämlich, diese so zu gestalten, dass die Eltern auf ihr Kind stolz sein können.

Fallbeispiel: Die Stressfrage

 „Was macht euch denn in der Schule Stress?“ so Herr Gruber zu seiner 10. Klasse. Zunächst setzen sich seine Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen zusammen. Die Ergebnisse sind Aussagen wie:  die blöden Hausaufgaben, wenn uns der Lehrer dauernd vorschreibt, was wir tun müssen, dauernd gibt es Streit in der Klasse, der Unterricht ist langweilig oder schlechte Noten.

Damit ist es Herrn Gruber gelungen, Themen, die seine Schülerinnen und Schüler im Innersten bewegen, ans Licht zu bringen. Das ermöglicht ihm, seinen Unterricht an ihren zentralen Bedürfnissen anzukoppeln (Eichhorn, 2018b). Zunächst gewichten die Schülerinnen und Schüler ihre Themen. Dann lässt Herr Gruber sie selbst darüber nachdenken und Antworten formulieren. Also z.B. zum Thema Hausaufgaben beantworten sie Fragen wie „ich komme mit den Hausaufgaben nicht klar – was kann ich tun?“ Oder „Wie schaffe ich meine Hausaufgaben auch dann, wenn ich keine Lust dazu habe.“ Oder, „was mache ich, wenn ich bei einer Aufgabe nicht weiterkomme“ oder „was sind bewährte Hausaufgabenstrategien“. Diesen letzten Aspekt verfolgt er über einen längeren Zeitraum hinweg, weil es ja bei vielen seiner Schülerinnen und Schüler darum geht, neue Gewohnheiten aufzubauen.

In Bezug auf das Thema, „der Lehrer schreibt uns alles vor“, verteilt Herr Gruber eine Signalkarte an seine Klasse. Wenn ein Schüler das Gefühl hat, dass der Lehrer zu viel vorschreibt, darf er einfach seine Signalkarte zeigen. Herr Gruber begrenzt dieses Projekt auf zwei Wochen und wertet es dann mit seinen Schülerinnen und Schüler aus. Das Beispiel zeigt, dass wir mit ganz einfachen Feedback-Instrumenten zentrale Informationen über unseren Unterricht erfassen können (Eichhorn, 2018a). Das ermöglicht uns, unseren Unterricht passgenauer auf die Bedürfnisse der Schüler_innen zuzuschneiden. Davon profitieren alle: Lehrkräfte und Schüler_innen.

Zusammenfassung

Schule und Lernen können Schüler_innen massiv belasten. Viele Lehrkräfte möchten den Schüler_innen bei der Bewältigung dieser Probleme unterstützen. Dabei gehen wir am besten so vor, dass unsere Schüler_innen soweit als möglich selbst aktiv sind.

Literatur

Baumeister, R.F. (2018: Self-Regulation and Self-Control: Selected works of Roy F. Baumeister, Routledge.

Eichhorn, C. (2018a):   Classroom-Management Basiswissen Kompakt: Stören

  • Die wirksamste Störungsprävention
  • Interventionsleitlinien bei kleinen Störungen
  • Interventionsleitlinien bei großen Störungen.

Eichhorn, C. (2018b): Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta, 10. Aufl.

Gollwitzer, P., Oettingen, G., (2015): Self-Regulation in Adolescence (The Jacobs Foundation Series on Adolescence). Cambridge University Press.

König, J., Wagner, C., Valtin, R. (2011): Jugend – Schule – Zukunft. Psychosoziale Persönlichkeitsentwicklung. Ergebnisse der Längsschnittstudie Aida. Waxmann Verlag

Pianta, R., Hamre, B., Mintz, S. (2012): Classroom-Assessment-Scoring-System: Secondary. Manual, Teachstone, Charlottesville

Lopez, S., Snyder, C., (2009): Second Handbook of Positive Psychology. Oxford. 2nd edition.

Valtin, R. (2012): Was ist das Schlimmste an der Schule? Befragung von 3 000 Berliner SuS der Klassen 7, 8, 9  der Sekundarstufe 1. Siehe auch unter: König, J., Wagner, C., Valtin, R. (2011): Jugend – Schule – Zukunft. Psychosoziale Persönlichkeitsentwicklung. Ergebnisse der Längsschnittstudie Aida. Waxmann Verlag