Vorbildhafte Strategien pädagogischer Fachkräfte im Dialog
(von Martina Hehn-Oldiges) Selbstachtung lernen Kinder und Jugendliche in der sozialen Interaktion mit Erwachsenen. Erst wenn sie lernen konnten, sich selbst zu achten, können sie lernen Andere anzuerkennen. Pädagogische Bezugspersonen werden in Kindergarten und Schule in Interaktionen als Vorbilder erlebt und können somit Einfluss nehmen auf die Entwicklung der Selbstachtung und Anerkennung der Anderen. Lernen findet durch Erfahrungen statt. Was also ist zu tun: Im pädagogischen Alltag sind vorbildhafte Strategien besonders bedeutsam, wenn Kinder und Jugendliche herausfordernde Verhaltensweisen zeigen, auf die unmittelbar reagiert werden muss. Pädagogische Fachkräfte haben hier im Vorfeld sowie in den Situationen die Verantwortung, eine klare Orientierung zu geben. Dazu eignen sich folgende Maßnahmen
- Ziele statt Regeln formulieren
- Erwünschtes Verhalten formulieren
- Stärken und Gelingendes würdigen, positives Feedback geben und ermutigen
Wie dies in der Praxis gelingen kann, wird am folgenden Beispiel deutlich:
Jonathan war in seiner Klasse bekannt dafür, häufig in der Klasse herumzulaufen, seine Mitschüler*innen anzusprechen und vom Arbeiten abzuhalten. Oft war er hektisch und hatte seine Arbeitsmaterialien nicht immer dabei. Er wurde häufig von Lehrpersonen und Gleichaltrigen gemaßregelt. In einer Vertretungsstunde bot die Lehrerin eine Ermutigungsrunde an. Dazu konnten sich im Stuhlkreis sitzend drei Schüler*innen melden, die etwas Positives über sich hören wollten. Diese setzten sich dann vor ein/e andere Schüler*in ihres Vertrauens auf den Boden. Sodann konnten sich Mitschüler*innen melden und etwas Wertschätzendes über die am Boden Sitzenden äußern. Vorher wurde darüber gesprochen, was Wertschätzung sein könnte, denn gerade für Schüler*innen, die sich herausfordernd verhalten, fällt es Mitschüler*innen tatsächlich schwer, etwas Positives zu finden. Daher ist wichtig, auch etwas Neutrales sagen zu können, wie über Kleidung, Frisur o.Ä. Auch muss darauf hingewiesen werden, dass kleinste Anstrengungen rückgemeldet werden können. Gerade für diese Schüler*innen ist es hilfreich, wenn die Lehrperson mit einem Beispiel vorangeht:
Beispiele: „Du machst Dir viel Mühe mit Deiner Kleidung, Frisur. Ich finde Deine Turnschuhe cool… Dein Pullover hat eine schöne Farbe… Du hilfst anderen bei…, Du strengst Dich in Mathe besonders an, Du bist ein guter Fußballer usw., Gestern hast Du die Tafel gewischt!“
Nach einigen Runden waren nur noch wenige Schüler*innen nicht in der Mitte gewesen, zu ihnen gehörte auch Jonathan. Auf die Frage, ob er es einmal versuchen möchte, verneinte er. Dies ließ die Lehrerin unkommentiert und fragte in die Klasse, ob es jemanden gäbe, der etwas Positives zu Jonathan sagen könnte, worauf sich drei Schülerinnen meldeten. Die Lehrerin ergänzte, dass sie ebenfalls etwas Positives zu ihm sagen könnte. Daraufhin setzte sich Jonathan auch in die Mitte und hörte sich die Wertschätzungen an. Nachdem die vier Rückmeldungen formuliert waren, meldeten sich zwei weitere Schüler, denen durch die Vorgaben selbst noch etwas eingefallen war. Nach dem Unterricht kam Jonathan auf die Lehrerin zu und sagte: „Ich hätte nicht geglaubt, dass irgendeiner aus der Klasse etwas Gutes über mich sagen würde!“ Seine Selbstachtung war, wie die Lehrerin es vermutet hatte, sehr gering.
Einen ausführlichen Bericht zu den Maßnahmen und weitere Beispiele finden Sie hier zum Download. Der Beitrag basiert auf einem Kurzreferat, welches im Rahmen des Fachcolloquiums „Wie lernen Kinder und Jugendliche Selbstachtung und Anerkennung der Anderen“ (am 9.6.2018 in Reckahn) gehalten wurde.
Zur Autorin: Martina Hehn-Oldiges ist Förderschullehrerin und an die Arbeitsstelle für Diversität und Unterrichtsentwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt abgeordnet. Sie war aktiv an der Entwicklung der Reckahner Reflexionen beteiligt.