Demokratisch-partizipative Erziehung mit STEP  Interview mit Roxana Petcov und Trudi Kühn (von Martina Hehn Oldiges, Herbst 2023)

Einführung:

Im Gespräch mit Roxana Petcov und Trudi Kühn beschäftigen wir uns mit den besonderen Herausforderungen, die an Eltern sowie Lehr- und pädagogische Fachkräfte in der Erziehung gestellt werden. In ihren Kursen für Eltern und Fortbildungen für Fachkräfte arbeiten Sie mit dem in den USA entwickelten Konzept „STEP“ – Systematisches Training für Eltern und Pädagogen nach Dinkmeyer, D.Sr./McKay, G./Dinkmeyer D.Jr., das sich zum Ziel gesetzt hat, durch gelingende Erziehungs- und Bildungspartnerschaften erzieherische Prozesse respektvoll zu gestalten. Es interessiert uns, wie das Konzept dazu beitragen kann, Selbstachtung und Anerkennung der anderen bei Kindern und Jugendlichen im Sinne einer ethischen Pädagogik zu fördern.

Auf welche Herausforderungen von Eltern sowie Lehr-  und pädagogischen Fachkräften möchte STEP reagieren?
Bei der Begleitung von Eltern bzw. pädagogischen Fachkräften mit STEP geht es um herausforderndes Verhalten der Kinder und Jugendlichen in alltäglichen Situationen, in denen sie sich als Erziehende ratlos und hilflos fühlen – denn ihre Versuche, eine Änderung des Verhaltens der Kinder/Jugendlichen zu bewirken, bleiben erfolglos. So berichten Eltern von endlosen Auseinandersetzungen mit Kindern, die abends nicht ins Bett gehen wollen oder morgens für die Kita oder Schule nicht rechtzeitig fertig sind, die das Tablet oder Smartphone endlich ausschalten oder das Kinderzimmer aufräumen sollen. Im Kindergarten ist der Stuhlkreis oft ein Problem für Erzieher/innen, wenn Kinder nicht mitmachen und andere an der Teilnahme hindern. Der Streit um Spielsachen oder aggressives Verhalten der Kinder sind nicht weniger stressig. Lehrkräfte bzw. Fachkräfte, die Kinder im Nachmittagsbereich der Schulen betreuen, wissen oft nicht weiter, wenn Schüler/innen die Rolle des Klassenclowns übernehmen und den Unterricht/die Aktivitäten stören, Mitschüler/innen herabsetzen oder respektloses Verhalten an den Tag legen. In Institutionen der Erziehungshilfe oder in psychiatrischen Kliniken für Kinder und Jugendliche geht es oft um Gewalt, um Schulverweigerung oder wiederholten Regelverstoß – also um schwerwiegendere Herausforderungen, mit denen die Pädagog/innen konfrontiert werden.

Wie kann STEP dazu beitragen, diesen Herausforderungen zu begegnen und auf welche Theorien nimmt das Konzept Bezug?

Das STEP Programm basiert auf den theoretischen Grundlagen der Individualpsychologie nach Adler und Dreikurs, der Humanistischen Psychologie (Rogers, Gordon) sowie auf Erkenntnissen der Hirnforschung (Hüther, Bauer). Es ermöglicht Eltern bzw. pädagogischen Fachkräften, diese Herausforderungen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das sog. „Fehlverhalten“ ist der Hilferuf eines entmutigten Kindes, das sich nicht dazugehörig fühlt. „Bevor ein Kind Schwierigkeiten macht, hat es welche” (Adler). 

Diese veränderte Sichtweise sensibilisiert Erziehende für die Änderung ihrer Interaktion mit den Kindern: Sie fokussieren sich auf die positive Seite des Verhaltens der Kinder statt auf das Fehlverhalten. Z. B. bieten sie den Kindern/Jugendlichen Gelegenheiten, einen Beitrag zum Geschehen in der Familie, Kita, Schule etc. zu leisten und sich als selbstwirksam zu empfinden. Außerdem werden ihnen Möglichkeiten gegeben, Entscheidungen im altersangemessenen Rahmen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Bemühungen und kleine Fortschritte – nicht nur die Erfolge – der Kinder/Jugendlichen werden bemerkt und anerkannt, sodass diese ihr Selbstvertrauen stärken.

Eltern und pädagogische Fachkräfte versuchen nicht mehr vergeblich die Kinder/Jugendlichen zu ändern, sondern ändern das eigene Verhalten durch einen demokratisch-partizipativen Erziehungsstil. Erlebnis- und zielorientiert lernen sie – Schritt für Schritt – Kinder/Jugendliche im Alltag zu ermutigen, ihnen achtsam zuzuhören, mit ihnen respektvoll über herausfordernde Situationen zu sprechen. Gemeinsam werden mit ihnen Probleme gelöst oder ihnen zugetraut, dass sie alleine Probleme lösen können. Sie lassen Kinder/Jugendliche aus eigenen Fehlern (ihren Entscheidungen) lernen und ermöglichen ihnen dadurch Selbstdisziplin zu entwickeln.

Sie bauen tragfähige Beziehungen mit den Kindern/Jugendlichen auf, indem sie ihnen mit Verständnis für deren individuellen Bedürfnisse und Wünsche mit Empathie, Klarheit, Handlungssicherheit, Konsequenz und einer Gelassenheit, die dem Vertrauen in den Prozess entspringt, begegnen (s. Hurrelmann 2016, Klapptext zu Dinkmeyer Sr./McKay & Dinkmeyer Jr.; Hüther 2019, Klapptext zu Kühn/Dinkmeyer Sr./Petcov). 

Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an STEP?

Beachtenswert ist die Ganzheitlichkeit des STEP praxisorientierten Konzepts, das Eltern und pädagogischen Fachkräften vielfältige, zusammenpassende, z. T. aufeinander aufbauende Handlungsweisen bietet. Diese vermitteln keine „aufgesetzte Erziehungstechnologie“ (s. Hurrelmann 2016, Klapptext zu Dinkmeyer Sr./McKay & Dinkmeyer Jr), sondern sind individuell anwendbar, abhängig von den Werten der Familie, der Persönlichkeit des Kindes und den Gegebenheiten der Situation. Dazu trägt erheblich die vorbildhafte, ressourcenorientierte, ermutigende Begleitung der Erziehenden im Training bei. STEP ist gesundheitsförderlich: Eltern und pädagogische Fachkräfte gewinnen an Gelassenheit durch die Erkenntnis, dass der „Mut, nicht perfekt zu sein“ und der Austausch darüber entlastend wirken. Das STEP Programm wird wissenschaftlich evaluiert und kontinuierlich aktualisiert. Die hochsignifikante Stressreduzierung sowie die authentische und nachhaltige Änderung des Umgangs miteinander wurden dort bestätigt.

Sie sprechen von gelingenden Erziehungs- und Bildungspartnerschaften. Können Sie uns dazu Beispiele nennen?

Durch die parallele Durchführung der STEP Fortbildungen für Erzieher/innen und Lehrkräfte und der STEP Elternkurse in Kita und Schule entsteht eine gelingende Bildungs- und Erziehungspartnerschaft  zum Wohl der Kinder sowie der Eltern und pädagogischen Fachkräfte. Universelle Fördermaßnahmen können mit selektiven Interventionen kombiniert werden, sodass unterschiedliche Erfahrungsbereiche (Elternhaus, Kita, Schule, Erziehungshilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrische Kliniken)eingebunden werden können.

Alle Beteiligten können in Absprache miteinander „resiliente Verhaltensweisen bei den ihnen anvertrauten Kindern fördern: wie Impulskontrolle, Selbstwertgefühl, Verantwortungsübernahme, Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Kontrollüberzeugung, Durchhaltevermögen, Zielorientierung, Problemlösefähigkeit und effektive Bewältigungsstrategien“ (Kühn 2012). Eltern werden in ihrer Beziehungskompetenz gestärkt, pädagogische Fachrkäfte in ihrer Handlungskompetenz. Der Austausch kann durch das gemeinsam zugrundeliegende Konzept der Wertschätzung und Ermutigung auf Augenhöhe stattfinden. Die Kinder und Jugendlichen werden so weit wie möglich einbezogen (Kühn 2020).

Sie sind auf die „Reckahner Reflexionen – Leitlinien zur Ethik pädagogischer Beziehungen“ aufmerksam geworden. Welche Verbindungen sehen Sie zu STEP?

Die Reckahner Reflexionen und das STEP Programm basieren auf den gleichen Grundprinzipien und dem gleichen Menschenbild: die Gleichwertigkeit von Eltern/Pädagogischen Fachkräften und Kindern/Jugendlichen als würdige Menschen sowie das Recht und die Pflicht aller zu gegenseitigem Respekt. Beide Initiativen setzen sich dafür ein, eine demokratisch-partizipative Beziehungskultur zu verbreiten. Es ist uns eine Herzensangelegenheit, familiäre und professionelle pädagogische Beziehungen zu fördern, um alle Kinder bestmöglich auf das Leben vorzubereiten.

Weiterführende Informationen zum Konzept, zur Beratung und den STEP Kursen für Eltern, Erzieherinnen und Lehrkräfte finden sich unter https://www.instep-online.de

Mit der Herausgabe der Publikationen von Dinkmeyer et al. zum STEP Konzept durch Trudi Kühn und Roxana Petcov stehen diese auch in deutscher Sprache zur Verfügung:

Dinkmeyer, D. Jr./McKay, G./Dinkmeyer, J./Dinkmeyer D. Sr. (2018): STEP Das Buch für Erzieher/innen. Kinder wertschätzend und kompetent erziehen. Dortmund: verlag an der Ruhr

Dinkmeyer, D. Sr./McKay, G./Dinkmeyer, D. Jr. (2019): STEP Das Buch für Lehrer/innen. Wertschätzend und professionell den Schulalltag gestalten. Weinheim: Beltz

Dinkmeyer, D. Sr./McKay, G./Dinkmeyer, D.Jr. u.a. STEP – die Elternbücher. Weinheim: Beltz 

Categories: Verwandte Ansätze