Streitschlichtung mit der Friedenstreppe
Konflikte sind die Mutter der Entwicklung (Helmut Glaßl *1950)
(von Christiane Lenhard) Üblicherweise werden in Konflikten der Kinder schnelle Lösungen von außen gesucht. Doch wenn Erwachsene (autoritär) eingreifen, führt dies in der Regel zwar kurzfristig zu einem Stillstand in der Auseinandersetzung, oft aber leider nicht zu einer Befriedung. Häufig brechen die unerledigten Konflikte wieder auf und fordern intensive Zuwendung.
Die Friedenstreppe (auch bekannt unter dem Namen Friedensbrücke) ist ein Konfliktlösungsmodell entwickelt von Brigitte Zwenger-Balink im Auftrag des Kinderschutzbundes München[2] und unterstützt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Köln[3], das ALLE Kinder mitnimmt auf dem Weg der Erweiterung sozialer Kompetenzen.
Es unterscheidet sich daher auch grundsätzlich von sogenannten Experten-Modellen wie der Ausbildung von Streitschlichter*innen.
Die Methode Friedenstreppe oder –brücke ist ein mediativer Ansatz zur Konfliktlösung für Kinder – es gibt also nicht wie im üblichen Dramen-Dreieck (Opfer / Täter / Retter) drei zugeschriebene und festlegende Rollen, sondern zwei gleichberechtigte Partner*innen, die begleitet von einer/m neutralen Unterstützer*in den Weg zueinander suchen.
Grundannahmen der Mediation:
- Konflikte gehören zum Leben
- Lang andauernde Konflikte belasten
- Menschen sind fähig, ihre Konflikte selbst zu lösen – Begleiter sind neutral
- Die selbst entwickelten Lösungen sind stabiler
- Die gelernten Fähigkeiten sind übertragbar auf andere Lebenssituationen
Die Arbeit mit der Friedenstreppe gliedert sich in vier Schritte:
Im ersten Schritt wird der Konflikt zwischen zwei Kindern aus beiden Perspektiven beschrieben. Der/Die jeweils andere hört zu. Im zweiten Schritt werden die erlebten Gefühle benannt und – wenn möglich – durch Wiederholung der/des anderen wertgeschätzt. Erst im dritten Schritt wird es möglich, eine Lösung zu suchen, die dann im vierten und letzten Schritt als Einigung mit einem Vertrag oder mit einer sichtbaren Geste bekräftigt wird.
Die Friedenstreppe wird mit Erfolg schon seit Jahren in der Grundschule eingeführt.[1] Hilfreich zur Einführung ist eine dauerhafte Übung in der Identifikation und Verbalisierung von Gefühlswahrnehmungen – in regelmäßig wiederkehrenden Alltagsritualen ebenso wie in gezieltem Input durch Unterrichts- und Lerninhalte.
Konkret gelernt werden folgende Kompetenzen:
- Wissen um Kommunikationsprozesse (Giraffen- und Wolfssprache)
- Aktives Zuhören
- Gefühle erkennen und benennen können
- Lösungsideen haben
- Lösungsbereitschaft zeigen
Idealerweise steht am Ende eine Einigung – manchmal brauchen einzelne Schritte aber auch Zeit und können erst nach einem persönlichen Abstand zur Streitsituation gefunden werden. Diese Zeit sollte bewusst durch Verabredungen begleitet werden.
Die Kinder brauchen am Anfang noch Unterstützung durch Erwachsene – zum Ende der Grundschulzeit aber können viele Kinder je nach eigenem Lernweg und Sozialkompetenz die Schritte oft selbst schon begleiten und leisten.
Ein Kind lernt in erster Linie ‚Selbst-Bewusstsein‘ im eigentlichen Wortsinn: Es nimmt je nach Alter und Übung immer genauer die eigene Gefühlswelt in ihren sich manchmal auch widersprüchlich zeigenden Dimensionen wahr und findet Worte dafür.
Durch die Wahrnehmung und Verbalisierung der eigenen Gefühle ist es im Anschluss möglich, in die Gefühle anderer hineinversetzen und empathisch zu sein.
Erst danach kann der Schritt gelingen, wieder aufeinander zuzugehen – im Fall der Friedenstreppe ein wortwörtliches Vorgehen, denn die einzelnen Schritte dieses Prozesses werden durch vier Stufen visualisiert, die zueinander führen.
In der Praxis zeigt sich, dass nicht jedes Kind gleichermaßen bereit und fähig ist, sich auf einen solchen Prozess einzulassen. Manche Kinder brauchen eine emotionale Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit ihren teilweise widersprüchlichen Gefühlen, andere wieder übertreten ‚im Eifer des Gefechts‘ die Grenzen der Konfliktpartei und müssen an die Regeln erinnert werden. Wenn Kinder noch sehr aufgewühlt sind, sollten Absprachen für die Aufarbeitung eines Konflikts nach einem kleinen zeitlichen Abstand zum Geschehen vereinbart werden.
Aus meiner Erfahrung als Rektorin einer Grundschule kann ich bestätigen, dass dieser Ansatz der Konfliktmoderation von allen Beteiligten als entlastend erlebt wird. Die Kinder erleben Selbstermächtigung und Zufriedenheit- die Erwachsenen müssen nicht autoritär eingreifen und genießen die wachsenden Kompetenzen der Kinder. In der Konsequenz können viele Konflikte im Alltag schneller und befriedigender gelöst werden.
Eine bewusst gewaltfreie Kommunikation im pädagogischen Kontext ist dabei natürlich selbstverständliche und hilfreiche Ausgangsbasis. Das sollte im Gesamtteam der Mitarbeiter*innen vor Ort grundsätzliche Vereinbarung sein.
Es macht Sinn, diesen Ansatz mit ALLEN Mitarbeiter*innen gemeinsam zu erlernen und eine konkrete Strategie der Umsetzung vor Ort zu entwickeln, die festlegen, wie die konkreten Prozesse in den Schulalltag eingebunden werden können. Auch über regelmäßige Wiederholungen innerhalb der Schulzeit sollte entschieden werden.
Da die Friedenstreppe einen ganzheitlich veränderten Blick auf Konfliktgeschehen mit sich bringt, sollten die Prinzipien für Eltern als verabredetes Konfliktlösungsmodell transparent gemacht werden. Auch für sie kann es hilfreich sein, ein Seminar dazu zu durchlaufen, denn bei regelmäßiger Übung zum Beispiel auf dem Willkommensfest der Schulgemeinschaft gibt dieser mediative Ansatz auch Familien eine Erweiterung ihrer Tools an die Hand.
Zitat eines Jungen nach einem auf der Friedenstreppe beigelegten Streit:
Zuerst fühlte ich mich wie ein Unwetter.
Dann nach der Friedenstreppe war ich wie die Sonne….
Christiane Lenhard war über 30 Jahre im Schulwesen tätig, unter anderem als Schulleiterin in Bremen. Mehr Informationen zu der Autorin finden Sie unter www.christianelenhard.de
[1] https://www.bs-lg.de/wp-content/uploads/2018/07/Streitschlichtung_in_der_Primarstufe.pdf
[2] https://sonderpaedagoge.quibbling.de/alt/serie/zwenger/index.phtml
[3] https://www.bzga.de/infomaterialien/unterrichtsmaterialien/nach-schulform-sortiert/achtsamkeit-und-anerkennung-grundschule/