Unser Beitrag für Frieden und Demokratie: Die Klassen für Wertschätzende Kommunikation an der Anna-Freud-Schule Berlin

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(Karin Tschackert, Januar 2025)

„Worte sind Fenster oder sie sind Mauern“, so formuliert Ruth Bebermeyer treffend den Unterschied zwischen verbindender und trennender Kommunikation. In einer Zeit, die von zunehmender Polarisierung der öffentlichen Debatten geprägt ist, ist es wichtiger denn je, dass wir lernen, wie wir trotz unterschiedlicher Ansichten und Verhaltensweisen konstruktiv miteinander im Gespräch bleiben können. Als Lehrer:innen spüren wir diese Entwicklungen auch an der Anna-Freud-Schule (Oberstufenzentrum für Sozialwesen) in Berlin unmittelbar in unseren Klassenzimmern.
Eine Möglichkeit, um auf diese alarmierenden gesellschaftlichen Entwicklungen zu reagieren, bietet unser Projekt “Klassen für wertschätzende Kommunikation” (WSK). Ausgezeichnet mit dem ersten Preis der Berliner Bürgerstiftung (Buddies for Peace) 2024 unterstreicht dieser Erfolg die Bedeutung unseres Ansatzes.
Inspiriert von Marshall B. Rosenbergs Konzept der Gewaltfreien Kommunikation, zielt WSK darauf ab, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle Beteiligten gesehen und gehört fühlen. Es geht darum, Konflikte konstruktiv anzugehen und eine Kultur des gegenseitigen Respekts zu fördern. In unseren WSK-Klassen arbeiten Schüler:innen und Lehrkräfte aktiv gemeinsam daran, ihre Bedürfnisse und Gefühle klar und wertschätzend auszudrücken, aktiv zuzuhören und empathisch sowohl auf sich selbst, als auch auf die Perspektiven anderer einzugehen.

Wie sieht der Unterricht in den WSK-Klassen genau aus?
Im Rahmen von zur Zeit drei 11. WSK-Klassen am Beruflichen Gymnasium verfolgen wir gemeinsam die Ziele wertschätzenden Umgang miteinander aufzubauen und zu pflegen, eigene Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren sowie Handlungsspielräume zur Erfüllung von Bedürfnissen zu entwickeln. Dies erfolgt einmal wöchentlich im Rahmen der Profilfächer Psychologie bzw. Pädagogik. Der Unterricht ist vielfältig und praxisorientiert. Neben theoretischen Grundlagen werden zahlreiche Übungen und Rollenspiele eingesetzt, um die erlernten Fähigkeiten zu vertiefen. Dabei stehen folgende Aspekte im Mittelpunkt:

  • Selbstreflexion: Schüler:innen lernen, ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu benennen.
  • Empathie: Sie schulen ihre Fähigkeit, sich in die Lage anderer hineinzuversetzen und deren Perspektiven zu verstehen.
  • Kommunikationsfähigkeiten: Durch gezielte Übungen verbessern sie ihre Fähigkeit, klar und präzise zu kommunizieren, ohne andere zu verletzen.
  • Konfliktlösung: Sie erlernen Strategien, um Konflikte konstruktiv anzugehen und gemeinsam zu Lösungen zu gelangen.


Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Förderung eines positiven Gruppenklimas. Durch die Schaffung eines sicheren Raums, in dem jeder willkommen ist und offene Diskussionen gefördert werden, fühlen sich die Schüler:innen ermutigt, ihre Gedanken und Gefühle zu teilen.
Eine Methode zur Schaffung eines solchen Gruppenklimas, die sich bewährt hat, ist zum Beispiel die Bedürfnisblume. Ausgehend von den vier Grundbedürfnissen Entspannung, Verbundenheit, Sicherheit und Selbstbestimmung erarbeiten sich die Schüler:innen konkrete Strategien auf der Handlungsebene, wie sie sich in ihrer Lerngruppe diese Bedürfnisse gemeinsam erfüllen können. Die Blume ist anschließend präsent im Raum und lädt in Abständen zum Reflektieren über die aktuelle Bedürfnislage ein.

Eine weitere Methode ist das gemeinsame Feiern und Bedauern, ganz im Sinne der Idee „geteilte Freude ist doppelte Freude, und geteiltes Leid ist halbes Leid“. Jede WSK-Stunde beginnt im Sitzkreis mit einer kurzen fünf- bis zehnminütigen Austauschrunde zur vergangenen Woche oder zum bevorstehenden Wochenende. Die Schüler:innen können, müssen aber nicht, ein Erlebnis oder ein bevorstehendes Ereignis mit den anderen teilen und somit gemeinsam feiern oder bedauern. Dadurch lernen sich die Schüler:innen besser kennen und entdecken Gemeinsamkeiten. Wichtig dabei ist, dass die Schüler:innen dafür sensibilisiert werden müssen, diskret mit Äußerungen ihrer Klassenkamerad:innen umzugehen und auch ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche der privaten Informationen sich zum Teilen in der großen Gruppe eignen.

Die Erfolge sprechen für sich
Zur Evaluation ziehen wir eine Befragung heran, welche turnusmäßig zum Ende des Schuljahres in den drei WSK-Klassen durchgeführt wird. In einem auf unsere Ziele abgestimmten Fragebogen sollen die Schüler:innen ihren Zuwachs an Wissen und Fähigkeiten durch das Projekt einschätzen, können aber auch Lob, Kritik und Anregungen loswerden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Mehrheit der Schüler:innen vom Angebot der WSK-Klassen zu profitieren scheint hinsichtlich der Selbstreflexion, der Sprachförderung, der Empathie, des Austauschs und der Anwendung im Alltag, auch wenn ein Schuljahr für einige noch nicht reicht sich anderen Menschen wirklich öffnen zu können. Auf die Frage, was sie aus dem WSK-Unterricht für sich mitnehmen, äußerten sich im Rahmen der letzten Befragung Schüler:innen z. B. so:

  • „Wie wichtig klare Kommunikation ist, und wie bedeutend und wirksam es ist sich rücksichtsvoll auszudrücken“
  • „Wie man emphatisch nein sagt und wie man seine Bedürfnisse und Gefühle ausdrückt“.
    Lob am WSK-Unterricht klang beispielsweise so:
    • „Es ist gut und lässt einige Fragen im Kopf zum Thema Eigenreflexion.“
    • „Mal etwas Neues. Solche Fächer sollten generell im Schulsystem vertreten sein.“

Lehrkräfte als Vorbilder im Sinne des sozialen Lernens
Auch die involvierten Lehrkräfte schätzen die positiven Auswirkungen auf ihre Arbeit. Sie beobachten eine gesteigerte Bereitschaft zur Zusammenarbeit, eine offene Kommunikation und eine insgesamt positivere Lernatmosphäre. Die Lehrkräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen Umsetzung des WSK-Konzepts. Sie fungieren sowohl in ihrem Sozialverhalten, als auch in ihrer Sprachnutzung als Vorbilder und vermitteln den Schüler:innen die notwendigen Fähigkeiten und Werkzeuge. Durch regelmäßige schulinterne Fortbildungen und Klassenteam-Sitzungen wird sichergestellt, dass Lehrkräfte ihre Kenntnisse und Kompetenzen weiterentwickeln können. So haben auch alle Lehrkräfte der Schule über eine taskcard-Zugang zu unserem modulartig aufgebauten WSK-Curriculum. Dieses schlägt einerseits einen groben Jahresplan vor, um Schritt für Schritt theoretische Grundlagen der WSK zu vermitteln sowie auf Alltagsbeispiele anzuwenden, ist andererseits aber offen genug, um einzelne Bausteine situativ einzusetzen und damit auf aktuelle Bedürfnislagen der Schüler:innen reagieren zu können.

Zukünftige Perspektiven
Die WSK-Klassen bestehen seit nunmehr acht Jahren an der Schule und haben sich als großer Erfolg erwiesen. Die Würdigung des Projekts durch die Berliner Bürgerstiftung hat schulintern noch einmal zu einer Aufwertung geführt. Das soziale Lernen ist zu einem Schwerpunkt-Thema an der Schule geworden. Wenn die Anna-Freud-Schule wie geplant im Herbst 2025 in ihr neues Schulgebäude umzieht, soll der von Schüler:innen unter der Leitung des Street Art Künstlers Damian Yves Rohde gestaltete WSK-Buddy-Bär als nicht zu übersehendes Symbol für soziales Miteinander in der Schulgemeinschaft stehen. Auch soll das Preisgeld in Höhe von 2.500 € dafür eingesetzt werden die WSK noch sichtbarer in den Schulalltag zu integrieren sowie einen gemeinsamen Studientag für das ganze Kollegium zu organisieren.

Trotz der vielen schulischen Herausforderungen in der Vergangenheit und heute wie die Corona-Pandemie, der akute Lehrkräftemangel, die Digitalisierung von Schule und Unterricht sowie der anstehende Umzug in ein neues Gebäude haben wir es geschafft die WSK-Klassen weiter anbieten zu können und den Kreis der Interessierten sogar auszubauen. So haben wir seit diesem Schuljahr 2024/25 den Kreis der involvierten Bildungsgänge vom Beruflichen Gymnasium auf die Berufsfachschule erweitert. Wir verstehen die WSK-Klassen als Aushängeschild unserer Schule und nutzen zu deren Weiterentwicklung alle Möglichkeiten, die uns im Rahmen unserer Arbeit geboten werden, z. B. unseren wöchentlichen Teamblock – ein für alle Lehrkräfte der Schule nutzbarer Unterrichtsblock, in dem die Schüler:innen selbstorganisiert lernen und die Lehrkräfte gemeinsam an innovativen Ideen arbeiten.

Fazit
Die WSK-Klassen der Anna-Freud-Schule zeigen, dass es möglich ist, ein positives und inklusives Lernumfeld zu schaffen, in dem sich alle Beteiligten wohlfühlen und entfalten können. Durch die Förderung von Wertschätzung, Empathie und konstruktiver Kommunikation leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung unserer Schüler:innen und bereiten sie optimal auf die Herausforderungen des Lebens und für ihren beruflichen Werdegang im sozialen Bereich vor.
Wer sich für das Projekt interessiert, ist herzlich eingeladen sich auf unserer Schulhomepage weiter zu informieren. Besuchen Sie uns auch gern persönlich zum Tag der offenen Tür am 20. Februar 2025 am alljährlichen WSK-Stand.

Dr. Karin Tschackert (Projektleitung) / https://www.anna-freud-osz.de/schulleben/klassen-fuer-wsk