(von Dr. Britta Ostermann) Der Ansatz „Restorative Practice in School“ kann einen Beitrag dazu leisten Kindern und Jugendlichen Selbstachtung zu vermitteln. Dieser ist in Großbritannien, in den USA und in Kanada weit verbreitet und verfolgt das Ziel, ein stärkendes und inklusives Schulklima zu etablieren und heilsame Beziehungen aufzubauen: „The aim of restorative practices is to develop community and to manage conflict and tensions by repairing harm and building relationships” (Wachtel 2016). Demzufolge werden Disziplinprobleme und Konflikte nicht durch Bestrafung gelöst, sondern durch Stärkung integrierender sozialer Beziehungen, indem die Schülerinnen und Schüler unterstützt werden, „to resolve the issue, repair the harm and make a plan to ensure that the misbehavior doesn’t happen again. Relationships are restored and community is built“ (Wachtel 2016). Der Fokus liegt demnach auf Einsicht, Verständnis und Wiedergutmachung, nicht auf Bestrafung, Beschämung, Ausschluss.

Dabei umfasst dieses Konzept formelle und informelle Praktiken: Informelle Praktiken sind als präventive Maßnahmen zu verstehen, die helfen, anerkennende Peerbeziehungen und Halt gebende pädagogische Beziehungen innerhalb einer Schulgemeinschaft zu etablieren. Sie sind Teil des schulischen Alltags und beinhalten sowohl „affective statements which communicate people’s feelings“ als auch „affective questions which cause people to reflect on how their behavior has affected others“ (Wachtel 2016). Zu den formalen Praktiken gehören die „Family Group Conference“ sowie die „Restorative Conference“, die sich wie folgt definieren lässt: „A restorative conference is a structured meeting between offenders, victims and both parties’ family and friends, in which they deal with the consequences of the crime or wrong- doing and decide how best to repair the harm. Neither a counseling nor a mediation process, conferencing is a victim-sensitive, straightforward problem-solving method that demonstrates how citizens can resolve their own problems when provided with a constructive forum to do so“ (Wachtel 2016). Im Rahmen der Konferenz werden dem Täter werden folgende Fragen gestellt:

  • Was ist passiert?
  • Was hast du in dem Moment gedacht?
  • Was denkst du seitdem?
  • Wem wurde durch dein Handeln geschadet?
  • Was glaubst du, musst du tun, um es wieder gut zu machen?

Den Opfern werden die nachfolgenden Fragen gestellt:

  • Was hast du gedacht, als du realisiert hast, was passiert ist?
  • Welche Wirkung/ Auswirkung hatte dieser Vorfall auf/ für dich und Andere?
  • Was war am schwersten für dich?
  • Was glaubst du, muss getan werden, um es wieder gut zu machen?

Abschließend wird das Opfer im Sinne der lösungsorientierten Kommunikation nach Steve de Shazer gefragt, was geschehen muss, damit es zufrieden mit der Konferenz sei. Die Antwort wird mit dem Opfer und den anderen Teilnehmenden der Konferenz solange diskutiert, bis alle dem Ergebnis zustimmen. Abschließend wird ein Vertrag aufgesetzt und dieser wird von den Beteiligten unterschrieben.

Während meiner Lehrtätigkeit an Schulen in Deutschland habe ich Klassenkonferenzen kennen gelernt, die nicht nach dem oben vorgestellten Prinzip durchgeführt wurden, sondern bei denen der Täter auf einer „Anklagebank“ saß und auf sein Urteil wartete, das nach eingehender Beratung der Lehrkräfte, Eltern- und Schülervertreter getroffen wurde. Oftmals war das Urteil „Ausschluss vom Unterricht“. Ich würde argumentieren, dass sich in diesem Fall weder bei der ausgeschlossenen Person noch bei den anderen Peers etwas ändert. Es gibt nicht die Gelegenheit, eine Beziehung wiederaufzubauen und etwas wieder gut zu machen (vgl. Wachtel 2016; Evans/Vaandering 2016). Demzufolge wird bei diesem häufig verbreiteten Konzept weder die Selbstachtung der Heranwachsenden noch die Achtung der Anderen gefördert – schließlich wird diese Form der Konferenz von den Tätern häufig als entwürdigend wahrgenommen.

Die Auswirkungen der „restorative practices“ hingegen sind sehr positiv: „It helps to reduce crime, violence and bullying, improve human behavior, strengthen civil society, provide effective leadership restore relationships and repair harm“ (Wachtel 2016).

In Deutschland finden sich Schulverbünde und einzelne Schulen, die nach ähnlichen Prinzipien arbeiten und mit als äußerst schwierig erlebten Kindern und Jugendlichen Erfolge erzielen (vgl. die Studien zum Projekt Übergang von Ulrike Becker 2014a, b  sowie Ostermann 2015, 2017).

 

Literatur

Becker, U. (2014a): Inclusive Education – Supporting Children with Behavioural Problems and Their Reference Persons in Lower Primary School. Journal of Special Education and Rehabilitation, 15 (1–2), S. 24–42.

Becker, U. (2014b): Pädagogische Beziehungen bei Beeinträchtigungen in der emotionalen und sozialen Entwicklung. In: Prengel, A./Winklhofer, U. (2014): Kinderrechte in pädagogischen Beziehungen. Band 1. Praxiszugänge. Opladen: Verlag Barbara Budrich. S. 165-175.

Dubs, R. (2009): Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.

Evans, Katherine / Vaandering, Dorothy (2016): The little book of Restorative Justice in Education. Fostering Responsability, Healing, and Hope in Schools. New York: Skyhorse Publishing

Folta-Schoofs, K./ Ostermann, B. (2018): Neurodidaktik. Lernprozesse im Kindesalter wahrnehmen sowie verstehen aus neurobiologischer und pädagogischer Perspektive – Implikationen für die Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.

Leddin, A./ Ostermann,B./  Prengel,A./ Tellisch,Ch./  Wysujack, V. (2019, im Druck): Kindliche Resonanzen auf pädagogisches Handeln.Beobachtungsstudien zu relationalen Verflechtungen in Kita und Schule. In: Hartnack, F. (Hrsg): Qualitative Forschung mit Kindern. Heidelberg: Springer Verlag, S.83-108.

Ostermann, B. (2015): Halt geben in pädagogischen Beziehungen. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. Heft 10/2015. Darmstadt: Friedrich Verlag. S.21-24.

Ostermann, B. (2017): Beziehungsweise Inklusion. Beziehungen und Kommunikationsprozesse in inklusiven Kontexten gestalten. In: Grimm, A./Schoof-Wetzig, D.: Forum Lehrerfortbildung. Heft 2017, Loccum.

Thorsborne, M./ Vinegrad, D. (2006). Restorative practice and the management of bullying: Rethinking behaviour management. Queenscliff, Vic: Inyahead Press.

Wachtel, T. (2016): Defining restaurative. Bethlehem/USA: International Institute for Restorative Practices (2018), URL:  https://www.iirp.edu/images/pdf/Defining-Restorative_Nov-2016.pdf, 1.5.2018.

 

Dr. Britta Ostermann ist promovierte Erziehungswissenschaftlerin und Lehrerin. Sie war viele Jahre als geschäftsführende Leiterin der Abteilung Fort- und Weiterbildung am Centrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (CeLeB) der Stiftung Universität Hildesheim tätig. Dort oblag ihr die geschäftsführende Leitung des internationalen Weiterbildungsmasters „Inklusive Pädagogik und Kommunikation“, den sie gemeinsam mit Herrn Professor Dieter Rüttimann (PH Zürich, Institut Unterstrass) entwickelt hat. Zudem hat sie (internationale) Forschungsprojekte durchgeführt. Frau Dr. Ostermann begleitet Entwicklungsprozesse in Bildungseinrichtungen und berät Behörden, Städte, Schulen und Kitas zur Gestaltung (inklusiver) Erziehungs- und Bildungsprozesse sowie zur Professionalisierung pädagogischen Handelns im Umgang mit Heterogenität. Zurzeit widmet sie sich ihrer Habilitation zu Anerkennung in pädagogischen Beziehungen.