(Barbara Wenders) Große Pause. Rotbraune,  glänzende Kastanien, Kastanienzeit eben. Mathi, 12 Jahre alt, gehört zur altersgemischten Klasse 4-6 und ist selbst im sechsten Jahrgang. Er kam vor einem Jahr zu uns in den fünften Jahrgang, vorher war er vier Jahre lang an einer anderen Grundschule.

Mathi ist das älteste von drei Kindern. Seine Eltern sind beide berufstätig. Mathi hat sich soweit gut eingefunden, Grenzen testet er aus. Zurück zur Pause: Der Fachlehrer, er hat eine Sek.II-Lehrbefähigung, kommt im Laufschritt zur Klassenlehrerin von Mathi: „Mathi hat extra hart mit Kastanien geworfen und Vincent (Jg. 5) an der Schläfe getroffen. Er (Mathi) muss sofort nach Hause, ruf die Eltern an,  so geht das hier nicht.“

Die Klassenlehrerin setzt den Kaffeebecher ab. Ihr Impuls ist: Ich möchte Mathi nicht nach Hause schicken, er ist gerade auf einem so guten Weg. Mist, was soll ich jetzt machen, damit auch der Kollege es versteht? Nach kurzer Konsternierung besinnt sie sich auf die anderen Kinder: Sie werden jetzt helfen müssen. Sie werden mitberaten, was für Mathi das Beste ist. Und Vincent? Wie geht es ihm? Viel wichtiger, dass ich mich um ihn kümmere. Und wo ist Mathi überhaupt? Mathi hat sich (vermutlich ) in den Büschen versteckt und ist unauffindbar. Die Klassenlehrerin beruft einen spontanen Klassenrat ein und bespricht alles mit der Klassengemeinschaft im Sitzkreis. Ein Kind leitet zusammen mit der Klassenlehrerin den Klassenrat.

Die Ergebnisse dieses Klassenrates sind folgende: Zunächst wird Mathi gesucht, von einem Mitschüler gefunden und kommt mit in den Sitzkreis. Vincent berichtet aus seiner Sicht und sagt, wie er sich fühlt und was er sich wünscht: Vincent hatte Angst, er fühlte sich bedroht von Mathi. Ihn stört an Mathi, dass dieser auf dem Schulhof immer hinter ihm herrennt. Vincent wünscht sich, dass Mathi ihm nicht noch einmal weh tut und nicht immer hinter ihm herrennt.

Mathi sagt, was ihn an Vincent stört. Er sagt, dass er sich oft von Vincent provoziert fühlt. Vincent sage manchmal ‚Dicker‘ zu ihm. Mathi möchte nicht, dass Vincent ‚Dicker‘ zu ihm sage. Mathi kann zugeben, dass er absichtlich geworfen hat und auch treffen wollte. Das ist ein Tabubruch. Mathi. Er verspricht, nicht mehr weh zu tun und Vincent nicht mehr zu ‚verfolgen‘. Mathi kann sagen, dass es ihm Leid tut. Er entschuldigt sich.

Vincentverspricht, nicht mehr ‚Dicker‘ zu sagen. Vincent kann die Entschuldigung annehmen. Ein zu beobachtender Entwicklungsprozess beginnt….Die Gruppe findet es richtig, dass Mathi nicht nach Hause geschickt wurde. Sie möchte, dass er es schafft, niemandem weh zu tun.

Mathi soll heute in der nächsten Pause und am nächsten Tag in der Pause nicht auf den Schulhof gehen (Pausenverbot), damit er sich daran erinnert. Beim nächsten Klassenrat  (in einer Woche) wird nachgefragt, ob Mathi es geschafft hat, niemandem weh zu tun.

Es sind Schritte eines Lernprozesses.

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