Früher habe ich Latein gehasst
Schulerinnerungen in Fortbildungen
Wenn in Fortbildungen mit Schulerinnerungen gearbeitet wird, kommen oft existentielle Erfahrungen, die erfreulich oder auch schmerzhaft erlebt wurden, zum Ausdruck. Sie können sich auswirken auf spätere berufliche Entwicklungen. Beispielhaft dafür sind die folgende Erinnerungsgeschichte und der dazu verfasste Kommentar. Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.
Ich sitze hier im Klassenraum. Mal wieder Latein. Mal wieder eine mündliche Leistungsabfrage. Konjugieren! Ich werde aufgerufen. Bin genervt, will nicht. „Kommst du bitte hier an die Tafel?“ Ich stehe widerwillig auf. Stelle mich auf das Podest vor die ganze Klasse. Jeder guckt mich an. „Konjugiere bitte auf Latein: Ich stehe allen an Dummheit bevor!“ „Ich soll was?“ „Mach bitte was ich gesagt habe,“ sagt er überfreundlich und lächelt herablassend in die Klasse. Alle sehen genannt zu ihm, fassungslos, sprachlos. Ich möchte nur noch gehen. Weg aus dieser Situation. Nicht mehr herkommen. Ich weigere mich. Mehrere rufen, dass es doch nicht fair sei, demütigend. Er soll es sein lassen. „Setz dich wieder, nicht mal das kannst du. Und nun die ganze Klasse zusammen.“ Ich spüre, wie in allen die Wut hochkocht. Absoluter Hass. Niemand steht auf. Die Klasse bleibt stumm.
Der Lateinunterricht fand in der 7. Klasse eines bayrischen Mädchengymnasiums statt. Der Lateinlehrer war gleichzeitig Schulleiter und war in fast jeder Vertretungsstunde präsent. Der beschriebene Umgang mit den Schülerinnen wiederholte sich ständig. Beispielsweise wurde die Bedeutung der Namen aus dem lateinischen hergeleitet und immer wieder beim Aufrufen mit eingebracht (z.B. „Viktoria – auf zum Sieg, du bist dran mit übersetzen.“) Es herrschte ein Klima von Widerwillen und Unlust. Hat aber dazu geführt, dass die Klassengemeinschaft gestärkt wurde. Persönlich hat es bei mir dazu geführt als Lehrerin anders, wertschätzend und verständnisvoll mit meinen Schülerinnen und Schülern umzugehen. Mir persönlich liegt sehr viel an Empathie und gegenseitigem Verständnis. Mittlerweile unterrichte ich unter anderem Latein selbst mit sehr viel Freude und versuche den Spaß an der Sprache auch meinen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln.